“Dinarisches Gebirge? Nie gehört.” Diese Antwort wäre vermutlich recht häufig bei einer unserer berühmten Fußgängerzonen-Gebirgsumfragen. Und wohl nur die Allerwenigsten wüssten, wo genau es liegt, und welches sein höchster Berg ist. Obwohl – und das ist ein wirklich interessantes Paradox – fast jede/r schon Bilder davon gesehen hat. Zumindest wenn er oder sie aus Deutschland stammt und älter als, na, sagen wir mal 30 Jahre ist. Das wäre nämlich der Personenkreis, der sehr wahrscheinlich schon mindestens eine Karl May Verfilmung gesehen hat. Ja genau, Winnetou, Der Schatz im Silbersee und andere der alten Schinken wurden dort gedreht. Was für uns wie der wilde Westen oder das wilde Kurdistan aussah, waren die Dinarischen Karstberge und –Plateaus des damaligen Jugoslawien.
Womit wir schon bei einer Besonderheit der Dinariden wären: ihre fast schon exotische Andersartigkeit, die nur sechs Autostunden von München entfernt beginnt. Die nackten Karstlandschaften kennzeichnen dieses ausgedehnteste und durch seine Schroffheit auch unwegsamste Gebirge der Balkanhalbinsel. Seine Kurzbezeichnung als “Dinariden” ist zwar praktisch, aber wissenschaftlich nicht ganz korrekt. Dieser Name ist streng genommen dem tektonisch-geologischen Unterbau vorbehalten, der nicht deckungsgleich mit dem Gebirge ist.
Wo genau liegt das Dinarische Gebirge?
Die Dinarischen Alpen sind benannt nach dem Dinara-Gebirge in Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Sie erstrecken sich von den südlichen Ausläufern der Ostalpen in Slowenien und Italien etwa 700 Kilometer südostwärts auf der Westseite der Balkanhalbinsel. Die konventionelle Abgrenzung zu den Alpen wird am Adelsberger Sattel (Pforte von Postojna) nahe der slowenischen Hauptstadt Ljubljana gezogen.
Von dort aus bildet das Dinarische Gebirge eine Keilform, die nach Südosten hin immer breiter wird. Die natürliche Grenze im Nordosten ist dabei die Pannonische Ebene, die sich über Serbien und Ungarn erstreckt. Das südöstliche Ende ist etwa am nördlichsten Punkt des Kosovo erreicht. Von dort verläuft die “Basis” des “Keils” entlang der Grenze von Serbien, Kosovo und Montenegro über etwa 350 Kilometer nach Südwesten zur Adria. Mit der Zunahme der Breite von Nordwest nach Südosten gewinnt das Gebirge auch bedeutend an Höhe und kulminiert im Plateau-Hochland des Durmitor und der Hochgebirgslandschaft der Prokletije (Albanische Alpen).
An der kroatischen Adriaküste wiederum geht es nordwestwärts zurück zur Pforte von Postojna. Die vielen mediterranen Buchten und Inseln auf dem Weg (Krk, Brač, Hvar, usw.) gehören ebenfalls zum dinarischen Gebirgssystem. Aufgrund der tektonischen Aktivität der adriatischen Platte treten hier Erdbeben, teils in erheblicher Stärke, gehäuft auf.
Charakter und Besonderheiten
Die Höhenzüge der Dinariden lassen sich hinsichtlich Relief und Morphologie den Falten- oder Kettengebirgen im Nordwesten (Slowenien, Kroatien, Bosnien) und den Plateau- oder Deckengebirgen im Südosten (Herzegowina, Montenegro, Nordalbanien) zuordnen. Damit wären nebenbei auch die meisten der sieben Länder genannt, in denen das Dinarische Gebirge liegt. Es fehlen zur Vollständigkeit nur noch Serbien und der äußerste Nordwesten des Kosovo.
Die vielfältigen Karstformen und -Landschaften dürften länderübergreifend das “Markenzeichen Nummer 1” der Dinariden sein. Tatsächlich sind viele weltweit gültige Namen der Karstgeologie den hiesigen lokalen Namen entnommen. Die “Polje” beispielsweise beschreibt ein flaches, von Felswänden oder Bergflanken umgebenes Becken. Sehr große Poljen, die sich über hundert Quadratkilometer und mehr erstrecken, finden sich im Süden Kroatiens und angrenzenden Gebieten Bosniens.
Neben den vielerorts markanten Felsformationen hat die Geologie zahlreiche Durchbruchstäler in Form von unzugänglichen Canyons ausgebildet. Sie entstanden erst nach der Auffaltung des Gebirges und verlaufen vom inneren des Balkans meist west- und südwärts Richtung Mittelmeer. Oft fehlen dabei die in anderen Gebirgen üblichen Quertäler, weshalb diese langen Durchbruchstäler nur begrenzte Möglichkeiten für den Zugang und zur Erschließung bieten. Hinzu kommt eine starke landschaftliche Zerklüftung. Diese ist in den niedrigeren und flacheren Gegenden kaum weniger ausgeprägt als in den Höhen. Dadurch ist das Dinarische Gebirge bis heute eine echte Verkehrsbarriere zwischen der mediterranen Region und dem inneren Balkan geblieben.
Die Unterschiede dieser Gebirgslandschaft zu den Alpen sind angesichts der geringen Entfernung erstaunlich. Dazu kommen noch eine deutlich geringere Erschließungs- und Besucherdichte sowie weite Landstriche mit dünner bis gar keiner Besiedlung. So gibt es bis heute überall in den Dinarischen Bergen Gebiete, in denen Großsäuger wie Bär, Wolf und Luchs ungestörten Lebensraum finden. Als Faustformel kann dabei gelten: Je weiter weg von der Küste, desto “wilder” und unbekannter.
Klima
Das Dinarische Gebirge hat mit seinen gut 600 Kilometern Nord-Süd-Ausdehnung an verschiedenen Klimazonen teil. Im Westen sorgt die Adria für mediterrane Einflüsse, die milde Winter, heiße Sommer und enorme winterliche Regenmengen, in küstennahen Landstrichen Montenegros 5000 mm/Jahr und mehr, mit sich bringen. Dass die Landschaft dort mit dem vielen nackten Fels eher trocken aussieht, liegt ungeachtet der trocken-heißen Sommer weniger am Klima, sondern an der schnellen Versickerung des Wassers. Das gilt auch für viele andere “halbwüstenartig” oder “steppenhaft” aussehenden Landstriche der Dinariden.
Als Gegenkraft zur mediterranen Küste wirkt die kontinentale Landmasse des inneren Balkans. Von hier kommen kalte und trockene Luftmassen, die für strenge Winter und ebenfalls heiße Sommer sorgen. Dort, wo im Winter die feuchte Luft von der Adria auf die sehr viel kältere Festlandsluft trifft, gehen große Schneemengen nieder.
Entsprechend der großen Bandbreite und Variation der Landschaften und regionalen Klimata findet sich in den Dinariden eine sehr artenreiche Flora und Fauna.
Kriegserbe: Minen und Lost Places
Der Jugoslawienkrieg ist zwar Jahrzehnte her, doch seine Spuren sind noch heute überall im Dinarischen Gebirge zu finden. Die Fronten und Schauplätze lagen größtenteils in diesen rauen, unübersichtlichen Bergen. In Bosnien und Herzegowina, den am stärksten umkämpften Teilrepubliken, wurden zwischen 1992 und 1995 ungefähr eine Million Minen vergraben. Hinzu kommen Unmengen an zurückgelassener Munition. Etwa 200.000 Minen und Blindgänger konnten bis heute noch nicht geräumt werden. Die genaue Anzahl lässt sich nicht bestimmen, da viele Minenlegepläne während des Krieges zerstört wurden und Minenfelder, die von paramilitärischen Einheiten gelegt wurden, nicht dokumentiert sind.
Neben Bosnien ist auch Kroatien stellenweise noch minenverseucht, wenn auch in weit geringerem Maße. Die gute Nachricht ist, dass die heute für Wanderer attraktiven Gebiete in der Regel so kartiert sind, dass unsichere Zonen mithilfe diverser Warnhinweise gemieden werden können. Wer auf ausgewiesenen, markierten Wanderwegen bleibt, hat mit größter Wahrscheinlichkeit nichts zu befürchten. In wirklich selten besuchten und kaum erschlossenen Gebieten sollte man auf ortskundige Führer zurückzugreifen. Sich vorab über die Minensituation zu informieren, ist aber vor allem für Bosnien leider immer anzuraten.
Doch der Krieg hat nicht nur Minen hinterlassen, sondern auch verlassene Flugzeughangars und andere Militäranlagen. Diese faszinieren heute als “Lost Places” Reisende aus aller Welt. Ein sehr beeindruckendes und aus dem Alpenraum kommend relativ schnell erreichbares Beispiel ist die ehemalige Luftwaffenbasis beim kroatischen Dorf Željava an der bosnischen Grenze. Dieser 1957 bis 1970 in den Berg gegrabene Militärhangar war der Größte in Europa und hatte Platz für 1400 Soldaten, 80 Kampfflugzeuge und 110 Piloten. Mit seiner besonderen Größe und der unheimlichen “Top Secret” Atmosphäre ist er allerdings kein Geheimtipp mehr.
Einen ganz ähnlichen, noch nicht so bekannten Geister-Hangar der jugoslawischen Tito-Ära findet man am anderen Ende Bosniens in Gnojnice bei Mostar.
Wie hoch sind die Berge im Dinarischen Gebirge?
Hohe Gebirgszüge der Dinariden sind, von Nordwest nach Südost geordnet, das Velebit-Gebirge an der Adria (bis 1757m) und das Dinara-Gebirge an der kroatisch-bosnischen Grenze (bis 1837m), das auch der Namensgeber der gesamten Dinariden ist. Im zentralen und südlichen Bosnischen Kernland finden sich zahlreiche quer und längs der Hauptachse verlaufende Bergketten und schluchtendurchzogene Plateaus bis über 2000 Meter (v.a. um die städtischen Zentren Sarajevo, Mostar und Jablanica). Der höchste Berg Bosnien-Herzegowinas befindet sich an der Grenze zu Montenegro im Nationalpark Sutjeska (Maglić, 2389m). Landschaftlich sind weite Teile der bosnischen Dinariden von wilder, touristisch nach wie vor unentdeckter Schönheit. Eine gewisse Szenepopularität genießt die Region unter zwei- und vierrädrigen Offroad-Fahrern, denen die vielen schmalen, kurvenreichen und oft unbefestigten Straßen reichlich Abenteuer bieten.
Die höchsten Dinaridenberge nach Ländern:
Slowenien: Veliki Snežnik, 1796m
Kroatien: Dinara, 1831m
Bosnien-H.: Maglić, 2389m
Serbien: Pančićev, 2017m
Montenegro: Bobotov Kuk, 2523m
Kosovo: Zborište, 1546 m
Welche Wanderrouten gibt es im Dinarischen Gebirge?
Von Slowenien bis Montenegro finden sich überall in den Dinariden ausgewiesene Wege und regionale und lokale Wegenetze in allen markanten Massiven des Dinarischen Gebirges. Alle lohnenden und attraktiven Wege füllen problemlos mehrere dicke Wanderführer. Als besonders attraktiv und teils auch spektakulär sind die küstennahen Gebirgsketten Velebit im Norden und Biokovo im Süden von Kroatien bekannt. Das Velebit beherbergt mit dem Nationalpark Paklenica ein traditionsreiches, international bekanntes Klettergebiet und mit dem Tulove Grede ein Felsmassiv. In den Winnetou-Filmen war es eine bedeutende Kulisse und zieht bis heute viele Fans der Streifen an. Die Höhenwanderungen im Velebit versprechen dank des verwinkelten Küstenabschnitts mit vielen Landzungen und Inseln einzigartige Tiefblicke und Panoramen.
Die “hinter” den Velebit-Bergen im kroatischen Grenzland nahe Bosnien gelegenen Plitvicer Seen sind mit ihren vielen Wasserfällen nicht nur als einzigartiges Naturschauspiel bekannt, sondern auch als eine weitere Karl-May-Filmkulisse (“Der Schatz im Silbersee”).
Gebirge um Gebirge
Das beeindruckend steil und hoch über den Adriastränden aufragende Biokovo-Gebirge hat mit dem etwa 6 Kilometer vom Badeort Makarska entfernten, satte 1200 Meter über dem Mittelmeer schwebenden Stahlbalkon namens “Skywalk” eine zwar künstliche, aber doch sehr beeindruckende Attraktion vorzuweisen. Natürlich lässt sich die beeindruckende Karstlandschaft auch ohne solche Geschmacksverstärker genießen – ob mit einer einfachen Wanderung auf dem Hochplateau oder einer etwas anspruchsvolleren Kletterei durch massive, senkrechte Wandfluchten.
Eine weitere erstklassige und schon bekanntere Wanderdestinationen ist das Durmitor-Gebirge im äußersten Süden der Dinariden. Dieses feine Kleinod wurde hier im Blog bereits ausführlich vorgestellt. Weniger oder gar nicht bekannte Gebiete sind auf der wohl umfassendsten Dinariden-Website Dinarskogorje vorgestellt. Deren englische Version befindet sich noch im Aufbau. Ein Beispiel für ein unbekanntes Gebiet mit großem Erlebnispotential ist das bosnische Bjelašnica-Gebirge, in welchem sich unter anderem das legendär-ursprüngliche Bergdorf Lukomir mit seiner abgeschiedenen, dramatisch schönen Lage befindet. Mehr dazu und zum Wandern in Bosnien allgemein findet sich auf der Website Asecretcalledbosnia.
Fernwanderung Via Dinarica
Die bekannteste Wanderung der Dinariden ist ihre komplette Durchquerung. Die Via Dinarica führt von Slowenien aus über sieben Länder nach Nordalbanien “hinunter”. Das Herzstück führt dabei durch Bosnien und Herzegowina, weshalb ihr entsprechend Potential für Abenteuer und Entdeckungen nachgesagt wird. Der “Weiße Weg” ist der “Hauptweg”, der den höchsten Gipfeln der Dinarischen Alpen folgt. Ausführliche Infos zum Weißen Weg und zu den anderen Varianten finden sich auf der Via-Dinarica-Plattform bei Outdooractive.
Eine Etappe der “blauen” Via Dinarica über den eben erwähnten Biokovo-Kamm ist dort ebenfalls beschrieben.
Auch eine Übersicht an Wandertouren in den gesamten Dinariden gibt es auf dieser Plattform.
Welche anderen Aktivitäten bieten sich an?
Die Frage wäre eher, was in den Dinariden an Outdoor- und Tourismusaktivitäten nicht möglich ist. Denn vom Klettern (Klassiker: Paklenica) über Offroad per Jeep und Motorrad (Geheimtipps Bosnien und Montenegro mit den Gebirgszügen Sinjajevina und Maganik), Mountainbiking, Canyoning (v.a. Montenegro) bis zu Rafting und Kayak auf den wilden Flüssen ist alles möglich. Sogar ein ansehnliches Städte- und Kulturprogramm ließe sich dank der langen und wechselvollen Geschichte der Region auf die Beine stellen.
Touristische Infos
Die Anrainerstaaten der Dinariden haben alle nur denkbaren touristischen Infrastrukturen und Dienstleistungen zu bieten – je nach Region von hoch entwickelt bis rudimentär, von hoher bis zu geringer Quantität und Qualität.
Übersichtliche Infos zu Anreise, Mobilität vor Ort, bester Reisezeit, Red Tape, Berg- und Schutzhütten, Wetterbedingungen, Bergsteigervereinigungen, Bergrettungsdiensten und nützlichen Links finden sich auf der bereits erwähnten Seite Dinarskogorje. Ebenfalls dort findet sich auch eine Sammlung der mehr oder weniger leicht erhältlichen Dinariden-Landkarten.
Linktipps
Nestvarna.blog: Serbischer Alpin-Blog mit grandiosen Fotos zu den Dinariden und anderen Balkan-Gebirgen, leider nur teilweise englische Übersetzung auswählbar, ansonsten Browser-Extension notwendig. Dann sind auch die vielen Infos und Anregungen zu weiteren Abenteuersportarten wie Skitouren, Kayak oder Canyoning verfügbar.
Unsere Packliste Tagestour, in der Du alles findest, was du für Deinen perfekten Wandertag (nicht nur) in den Dinariden brauchst