Bis vor einigen Jahren war die Auswahl der Laufradgröße am Fahrrad noch sehr überschaubar. Kleine Räder für BMX und Kinderfahrräder, mittlere Laufräder für Mountainbikes und große Durchmesser für Rennräder, Trekkingräder und Tourenbikes. Bei Mountainbikes stellte sich zwar die Frage nach Federweg, Rahmengeometrie und Komponenten – über die Laufradgröße brauchten sich Mountainbiker jedoch keine Gedanken machen, denn die lag stets bei 26 Zoll.
Eigentlich waren Laufräder mit 26 Zoll schon früher die übliche Größe für Jugendfahrräder, die in der Mitte zwischen 24 Zoll Felgen für Kinder und 28 Zoll für Erwachsene Radfahrer lagen. Der große Vorteil der kompakteren Felgen war jedoch ihre höhere Stabilität.
Die Laufräder am Mountainbike waren mit ihren geländetauglichen Stollenreifungen sehr hohen Belastungen durch Steine und Wurzeln ausgesetzt. Da in den Anfängen der Mountainbikes außerdem noch keine gefederten Gabeln und vollgefederten Bikes erfunden waren, waren 26“ Laufräder der beste Kompromiss aus Stabilität und Laufruhe.
Stabilere Konstruktionen ermöglichen 29“ Felgen am MTB
Bereits in den 1980er Jahren experimentierten die Hersteller mit größeren MTB-Reifen. Ziel der größeren Räder sollten bessere Fahreigenschaften und ein ruhigeres Laufverhalten auf unebener Strecke sein. Die ersten Laufräder mit 29“ hatten leider mit vorzeitiger Materialermüdung zu kämpfen, sodass es noch bis in die 2000er Jahre dauerte, bis Material und Verarbeitung von Felgen, Naben und Speichen so stabil und auf einem derart hohen Niveau möglich waren.
Mountainbikes mit 29 Zoll Bereifung bügeln Unebenheiten im Gelände regelrecht platt. Mit ihrem großen Durchmesser rollen sie auch über größere Hindernisse mühelos hinweg. Allerdings benötigen Radfahrer auch mehr Energie, um die Räder in Bewegung zu setzen und zu beschleunigen. Räder mit 29“ aus vergleichbaren Materialien sind außerdem schwerer, als ihre kleineren Vettern mit 26“.
Das bedeutet, dass die rotierende Masse der großen Bereifung höher ist und dadurch träger wird. Was einerseits durch ein sehr ruhiges und stabiles Rollverhalten begeistert, kann sich auf schmalen Trails mit häufigem Beschleunigen und schnellen Lenkmanövern als Nachteil entwickeln und sich eher behäbig anfühlen.
Der sportliche Kompromiss lautet SixFifty B
Laufräder mit einer Größe von 27,5“ sind die Antwort der Fahrradindustrie auf den Wunsch der Mountainbiker nach einer Mischung aus agilem Handling und hoher Laufruhe. Six Fifty B leitet sich dabei vom Reifenaußendurchmesser nach ERTRO ab (Europäische Reifen- und Felgen-Sachverständigenorganisation).
Der Wert „B“ gab dabei ursprünglich Auskunft über die Breite der MTB-Reifen. 650 B, oder eben englisch gesprochen „sixfifty b“, ist im Grunde nur eine andere Bezeichnung für Laufräder mit einer Größe von 27,5 Zoll. Je nach Kombination unterschiedlicher Felgen und Reifen können die tatsächlichen Raddurchmesser aber sowohl bei 27,5“, als auch bei 29“ Laufrädern variieren.
Die kleineren Laufräder bieten größere Bewegungsfreiheit für lange Federwege. Mit ihren kleineren Durchmessern ermöglichen sie den Ingenieuren die entscheidenden Zentimeter zu gewinnen, um Hinterradfederung und Federgabeln von Endurobikes und Downhillmaschinen noch weiter zu verlängern. 27,5″ Felgen stehen für ein ausgewogenes Fahrgefühl, mit dem guten Anstiegsverhalten größerer Räder, und der Tendenz Unebenheiten im Boden zu begradigen.
Gleichzeitig sorgt das 650 B Format für angenehme Wendigkeit bei schnellen Richtungswechseln. Durch seine hervorragenden Fahreigenschaften hat sich das 27“ Format bei Mountainbikern sehr stark verbreitet und gilt momentan als die am meisten verwendete Laufradgröße bei Mountainbikes.
Einsatzbereich und Körpergröße bei MTB-Bereifung
Natürlich sind Mountainbikes mit 27,5“ und 29“ Laufrädern individuell aufeinander abgestimmt. Rahmenhöhe, Rahmengeometrie, Gabel, Hinterbau und Federungen müssen optimal Hand in Hand arbeiten. Damit jeder Mountainbiker die Ausstattung findet, die optimal zu ihm passt, lohnt sich zunächst eine kritische Überprüfung des eigenen Fahrverhaltens und des bevorzugten Terrains:
Fahre ich fast nur Downhill? Bin ich viel im Bikepark unterwegs? Mag ich schmale Trails? Ausgewogene Biketouren mit knackigen Anstiegen und sportlichen Abfahrten?
Grundsätzlich sind die 27,5“ Laufräder bei schnellen Trails mit engen Kurven, zügigen Abfahrten und Downhills deutlich wendiger und fühlen sich stabiler und sicherer an als MTBs mit größeren Reifen. Größere Laufräder haben bei längeren Touren mit Flachstücken und Anstiegen jedoch meist die Nase vorn.
Mit relativ geringem Kraftaufwand halten sie mühelos Spur und Geschwindigkeit und hängen dabei so manches 27,5“ Laufrad ab. Auch größere Mountainbiker profitieren von den großen Laufraddurchmessern, der es ihnen erlaubt die Rahmengeometrie auf ihre Größe perfekt zu optimieren.
27,5 Zoll vs. 29 Zoll – und was ist mit 27,5+ ?
Während die einen sich noch Fragen, ob sie lieber zu 27,5“ oder zu 29“ Bereifung greifen sollen, hält der Mountainbikemarkt schon die nächsten Weiterentwicklungen parat. Das Format 27,5“+ ,auch genannt B+ (als Abkürzung für 650 B+) oder einfach nur „Plus“, bezeichnet Laufräder mit einer Größe von 27,5 Zoll mit sehr breiten MTB-Reifen (allerdings nicht so breit, wie bei einem Fatbike). In der Regel liegt die Breite bei etwa 3 Zoll. Diese Reifen begeistern durch geringen Rollwiderstand im Gelände und verbessertes Überrollverhalten. Da sie mit noch niedrigerem Luftdruck gefahren werden können, erhöht sich der Grip enorm und das Pannenrisiko sinkt gleichzeitig.
Durch die Kombination von 27,5“ Felge und breiten Reifen erreicht das gesamte Laufrad einen ähnlichen Durchmesser wie bei einem Rad mit 29“ Felge. Der Reifen ist jedoch wesentlich breiter, als bei einem Rad mit 29“, und kann mit weniger Luftdruck gefahren werden. Außerdem profitieren Mountainbiker mit einem 27Plus System von der höheren Stabilität, die die „Plus“ Felge zur ähnlich großen 29“ Felge bietet.
Die Entscheidung zwischen 27 Zoll und 29 Zoll Mountainbikereifen
Zugegeben, für Umsteiger, die immer nur mit 26 Zoll Mountainbikes im Gelände unterwegs waren, ist das Fahrgefühl mit den größeren Laufrädern etwas gewöhnungsbedürftig. Gerade die großen MTB-Reifen erfordern vorausschauendes Fahren und präzises Lenken. Die Rolleigenschaften sind dagegen überragend und man hat danach das Gefühl als käme man mit einem 26“ Bike nicht mehr vom Fleck.
Um dir die Auswahl zu erleichtern, solltest du auf jeden Fall deinen Einsatzbereich realistisch einschätzen und deine Körpergröße mit in die Entscheidung einfließen lassen. Den Unterschied zwischen den Laufradgrößen kannst du am besten einschätzen, wenn du die verschiedenen Typen im Gelände zur Probe fährst. Am besten eignet sich dafür ein ganzer Testtag oder ein komplettes Testwochenende mit verschiedenen Strecken, Untergründen und Situationen.
Vergleichstabelle
Die folgende Tabelle zeigt noch einmal alle wichtigen Unterschiede zwischen 26“, 27“, 27,5“+ und 29“ Laufrädern am Mountainbike:
Größe: | 26 Zoll / 26“ | 27,5 Zoll / 27,5“ | 27,5+ Zoll / 27,5“+ | 29 Zoll / 29“ |
Alternative Bezeichnung: | 650 B „SixFifty“ B | B+ „Plus“ | „Twentyniner“ | |
Fahreigenschaften: | Sehr wendig Robust | Gute Kombination aus Rollverhalten und Wendigkeit Tolle Fahrdynamik Ermöglicht lange Federwege Verbindet die Vorteile von 26“ und 29“ | Sehr guter Grip durch geringen Luftdruck Geringe Pannenanfälligkeit Ähnliches Rollverhalten, wie 29“ aber gleichzeitig stabiler | Ruhiges Rollverhalten Sehr gut bei Anstiegen Unebenheiten (Steine, Wurzeln, Schlaglöcher) werden mühelos überrollt |
Besonders geeignet für: | Kleinere Mountainbiker und Jugendliche Hohe Belastungen Bikepark | Enduro Downhill Bikepark FreerideSchmale Trails | Kombination der Fahreigenschaften von 27,5“ und 29“ | Größere Mountainbiker (über 180 cm) Touren Crosscountry Lange Strecken Hohe Geschwindigkeiten |
Natürlich lassen sich Trails auch mit 29“ Laufrädern fahren und nicht jeder Freerider fährt ein 27,5“ Bike. Die Tabelle soll eine erste Hilfe bei der Entscheidung zwischen 27,5 Zoll und 29 Zoll bieten. Durch verschiedenste Rahmengeometrien, unterschiedliche Komponenten mit zahllosen Felgen und Reifen ist das perfekte Mountainbike Setup eine sehr persönliche Angelegenheit. In Bezug auf Fahrspaß, Sicherheit und Dynamik bieten jedoch sowohl 27,5 Zoll, als auch 29 Zoll Laufräder ungeahnte Möglichkeiten im Gelände. Begeisterten Mountainbiker kommt es nicht auf die Größe an.
3 Comments on the Article
Danke, das war eine hilfreiche Übersicht und bestätigt mich in meiner Absicht, ein MTB mit 27.5-Zoll-Rädern zu kaufen. Nicht zuletzt auch wegen dem etwas geringeren Gewicht als 29". Allerdings - du schreibst - noch im Februar diese Jahres - 27.5 sei das meist Verbreitete Format. In der Schweiz, wo ich wohne, finde praktisch keine neuen Bikes mit dieser Radgrösse, es gibt fast nur noch 29er ...
Hi zusammen. Hier habt ihr leider die Körpergröße vergessen. Denn kleine Personen haben mit 29 Zoll echt Probleme. Ich hab mir leider ein 29 Zoll bike geholt und komme überhaupt nicht zurecht. Bei langsamen Geschwindigkeiten ist ein Balancieren echt nicht möglich. Es fühlt sich an das man stets umkippt. Sowie das Gefühl wie ein Kind auf Papas Fahrrad zu sitzen. Meine Empfehlung an alle da draußen die eine Schrittlänge von unter 76cm haben. Niemals 29 Zoll. Nun geh ich n Hammer Schritt. Kurbeln von 175 auf 160. Laufräder und Reifen von 29“ 2.6 auf 27.5“ 2.6. lasst euch beim Kauf kein zu großes bike aufschwatzen. Es gibt auch ein Leben mit 27.5 Zoll. Obwohl man überall liest, dass 29 Zoll die Lösung für alles ist.
Vielen Dank für Deinen Kommentar und Deine eigenen Erfahrungen. Ich kann Dich voll verstehen und teile Deine Meinung, dass für kleinere Menschen das präzise Fahren mit 29 Zoll deutlich schwerer ist als für Größere. Daher gehen wir auf die Körpergröße in unserem Artikel ein und schreiben, dass 29 Zoll Räder vor allem für Mountainbiker ab einer Größe über 180 cm empfehlenswert sind. Ich hoffe, dass Du nun trotzdem weiter Freude an Deinem Rad hast. Viele Grüße, Jemima