Bigwall-Klettern am Monte Brento

Inhaltsverzeichnis

Längst ein alter Hut, aber immer noch bestens geeignet für ein angenehm flaues Gefühl in der Magengegend: die Bigwall-Route Via Vertigine (VI+, A2, ca. 1000 m/28 SL) am Monte Brento! Mit dem „Universo Giallo“ (VII, A2, ca. 1000 m/27 SL), dem „gelben Universum“, gibt es seit 2007 eine weitere, vergleichbare Route. Rechts dieser beiden Linien verläuft „Il grande Incubo“ (VII, A3, ca. 1200 m/32 SL) – eine sehr ernste und nur bedingt empfehlenswerte Technoroute. Und dann gibt’s im zentralen Wandteil mit „Brento Centro“ (8b) auch noch eine in jeder Hinsicht außergewöhnliche Freikletterroute. Da sie in weiten Teilen gemeinsam mit den anderen Routen verläuft, konnte ich ein paar Einblicke bekommen und erlaube mir einmal diese Einschätzung…

Die miese Felsqualität der genannten Routen ist allgemein bekannt, genau wie die Tatsache, dass die Kletterei in der „Vertigine“ und im „Universo Giallo“ eher stumpf ist. Aber die brutale Ausgesetztheit lockt einfach… Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich in den letzten Jahren immer wieder kontaktiert wurde, mit der Bitte um Infos zum Bigwall-Klettern am Monte Brento.

Im Folgenden will ich kurz von zwei Begehungen aus dem letzten Winter (18/19) berichten, vor allem aber Infos zur „Via Vertigine“ und zum „Universo Giallo“ bereitstellen. Einen Bericht und Infos zur Route „Il grande Incubo“ findet ihr auch hier im Basislager.

Via Vertigine, Februar 2019 

Kletterer an der Via Vertigine.
Billiges Posen in der Via Vertigine. Foto: M. Schuster

Im Anschluss an einen Dolomiten-Eisklettertrip kamen Michaela Schuster und ich abends im Sarcatal an. Am nächsten Morgen fuhren wir gemütlich nach San Giovanni. Von hier kann man zu den Wänden des Monte Brento absteigen. Nach einer Durchsteigung kommt man so recht schnell zurück zum Ausgangspunkt. Es war mein Wunsch, ein paar wärmende Sonnenstrahlen einzufangen, nach vielen Tagen in eisigen Nordwänden. Die Via Vertigine zu klettern bedeutet, in eine komplett andere Welt einzutauchen. Eine Welt, in der man wirklich da ist, in der es keine Ablenkung gibt – einmal abgesehen von den vielen Basejumpern, die sich über die zentrale Wand des Monte Brento stürzen.

Michaela führte am ersten Tag bis zum großen Band in Wandmitte, wo wir biwakierten. Ich war am zweiten Tag an der Reihe. In der Abenddämmerung standen wir dann oben, über dieser verrückten Riesenwand, mit Blick auf verschneite Berge, den Gardasee und die Lichter der Ortschaften des Sarcatals. Ja, die Route ist wirklich cool, immer wieder, und wenn man ein paar Punkte beachtet, auch halb so wild (siehe Tipps und Infos unten).

Universo Giallo, März 2019

Person klettert die Route Universo Giallo.
Das große Dach der Route Universo Giallo. Foto: M. Schuster

Obwohl bei uns in der „Vertigine“ alles gut ging, war sich Michaela nach der Tour sicher, dass sie erstmal genug hätte von dieser Wand. Aber schon Mitte März machten wir uns wieder auf zum Monte Brento, um die Route „Universo Giallo“ in einem Tag zu klettern. Wir kannten die Route nicht, aber ein Kumpel bestätigte, dass man hier schneller voran käme als in der „Vertigine“.

Für die ersten zehn Seillängen, die Michaela vorstieg, brauchten wir nur 1h 45min. Danach, im überhängenden Teil, waren wir nicht mehr ganz so schnell… Trotzdem erreichten wir San Giovanni im letzten Licht des Tages. Oben trafen wir noch zwei Basejumper, die es kaum glauben konnten, dass wir dort wirklich gerade hochgeklettert waren.

Monte Brento Ostwand, Via Vertigine und Universo Giallo – Tipps und Infos für Wiederholer

Hier also ein paar Tipps und Infos, als Ergänzung zu den Informationen des Kletterführers (Versante Sud, „Hohe Wände bei Arco“).

Die beste Zeit

Wenn die Sonne in die Wand scheint, was von morgens bis zum frühen Nachmittag der Fall ist, kann es sehr warm werden. Man klettert also am besten im Frühjahr oder im Herbst, bei kühlem Wetter. Nachmittags, wenn sich die Sonne verabschiedet hat und Wind aufkommt, wird es dann allerdings recht frisch. Man sollte unbedingt eine Isolationsjacke mit Kapuze dabeihaben!

Zustieg und Abstieg

Bildtafel in der Bar Parete Zebrata.
Die Bildtafel in der Bar Parete Zebrata. Foto: F. Miller

Erste Möglichkeit des Zustiegs: von San Giovanni durch die Nordflanke der Cima alle Coste. Dort gibt es einen markierten Abstieg für Kletterer. Vorteil: So kommt man vom Ausstieg der Route ganz einfach zurück zum Ausgangspunkt. Eine gute Wegbeschreibung fanden wir auf der Seite klettern-sarcatal.com.

Zweite Möglichkeit: klassisch vom Tal aus, vom Parkplatz der Sonnenplatten. Das ist einfacher zu finden, allerdings muss man auch daran denken, dass man irgendwie zurück zum Ausgangspunkt muss. Denn in den meisten Fällen steht ja das Auto dort…

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, zurück ins Tal zu kommen:

  • Vorher Fahrräder in San Giovanni deponieren.
  • Sich in San Giovanni abholen lassen.
  • Trampen oder auf ein Base-Taxi hoffen. Allerdings ist das bei Nacht wenig erfolgsversprechend.
  • Alles zu Fuß absteigen. An sich kein Problem, aber lang. Wenn man direkt zum Parkplatz der Sonnenplatten will, nimmt man den oben beschriebenen Steig durch die Nordflanke der Cima alle Coste. Aber Achtung – den findet man eventuell nicht, wenn man nachts durch den Wald stolpert!

Monte Brento Ostwand, Via Vertigine – Routeninfos

Charakter

Im unteren Wandteil Plattenkletterei mit einzelnen steileren Aufschwüngen. Im oberen Wandteil über weite Strecken brutal ausgesetzte und sehr anstrengende Technokletterei an überwiegend zweifelhaftem Hakenmaterial.

Hakenmaterial (Stand 02/2019)

Angebrochener Haken auf der Kletterroute.
Ausgebrochener Haken in der Via Vertigine. Foto: M. Schuster

Im Plattenpanzer gibt‘s ausreichend Bohrhaken von guter Qualität. Darüber, im überhängenden Wandbereich, sind zumindest die Stände mit vernünftigen Haken ausgerüstet (10-mm-Expressanker, allerdings teilweise im Bruch). Bei den Zwischenhaken handelt es sich überwiegend um 6-mm-Expressanker, die oft im Bruch stecken und zudem munter vor sich hin rosten.

Statt Bohrhakenlaschen wurden Ringmuttern verwendet. Diese sehen zwar solide aus, führen in vielen Fällen aber zu einer ungünstigen Hebelwirkung. Sinn machen sie leider nur in den horizontalen Dächern… Kein Wunder also, dass diese Haken bzw. ihr Ankerbolzen immer wieder (aus)brechen.  Die entstandenen Lücken wurden dann meist mit anderen Schrotthaken geschlossen oder mit Schlingen verkürzt. Hier und da, insbesondere im letzten Teil der Route, finden sich auch neue, solide Zwischenhaken.

Was tun, wenn Haken fehlen? Rückzüge aus dem oberen Wandteil sind extrem schwierig. Also muss es irgendwie weitergehen, selbst wenn Haken fehlen! Die meisten Seilschaften führen für solche Fälle eine Lawinensonde als „Clipstick“ mit. Ich halte davon nicht viel:

  1. Clipstick beim Bigwallklettern ist uncool.
  2. Fehlen Haken vor einer Dachkante (oder einer anderen Kante), kann man mit dem Clipstick auch nichts ausrichten.
  3. Werden fehlende Haken nicht ersetzt, ist die Route irgendwann überhaupt nicht mehr begehbar.

Man sollte also Material mitnehmen, um Fixpunkte anbringen zu können! Mein Notfall-Kit besteht aus:

  • Leichter Kletter-Hammer
  • Notbohrset: Petzl Rocpec mit 6-mm-Bohrer, 6-mm-Bolts, Schlüssel, Bohrhakenlaschen. Man kann 8-mm-Bohrhakenlaschen nehmen oder – besser – 6er-Laschen selbst basteln bzw. herstellen lassen. Dann fallen die Einzelteile beim Transport und bei der Montage nicht auseinander. Alternativ gehen auch 8-mm-Kronenbohrhaken oder Rivets + Rivethänger. Wobei in den Dächern Bohrhaken mit Lasche besser sind.
  • 2 Profilhaken (es gibt ein paar Risse)
  • 1 Beak, z B. mittlerer Pecker (Joker – kann einem das Bohren ersparen)
  • 1 Cliff für 6-mm-Bohrloch (z. B. von Cassin) 

Taktik

Tiefblick in der Via Vertigine.
Tiefblick in der Via Vertigine. Kaum sichtbar Michaela am Stand. Foto: F. Miller

Üblich sind Begehungen in eineinhalb Tagen mit Biwak am großen Band. Der beste Platz befindet sich ganz am rechten Ende des Bandes. Er ist steinschlaggeschützt und es liegen dort schon ein paar alte Isomatten (schmuddelig und von den Mäusen angefressen, aber immer noch besser als selbst tragen…).

Man sollte beim Klettern alles Material in einen kleinen Haulbag (35–55 l) bekommen, den der Nachsteiger am ersten Tag trägt. Gehault wird dann am zweiten Tag. Alternativ funktioniert bei dieser Taktik auch ein robuster, zum Haulbag umfunktionierter Tourenrucksack. Je nach Größe des Haulbags macht ergänzend noch ein (ganz) kleiner Kletterrucksack Sinn.

Der große Plattenpanzer ist grundsätzlich steinschlaggefährdet. Besonders der untere Teil der Route „Via Degli Amici“ (eine große Rinne) und der Bereich rechts der Route „Il Grande Incubo“ (dort wird nicht geklettert). Nach oben hin reduziert sich die Gefahr etwas, aber selbst am großen Band kann man noch getroffen werden.

Man sollte den unteren Wandbereich also schnell hinter sich lassen. Und es ist besser, wenn über einem keine andere Seilschaft unterwegs ist. Mit etwas Simultanklettern sollten die ersten 13 SL in drei Stunden gehen. Man kann also relativ spät einsteigen. Am zweiten Tag sollte man hingegen früh starten und zudem bereit sein, die letzten Längen im Dunkeln zu klettern. Falls die Kraft nicht reicht: Am Standplatz in der Mitte der langen Querung („La Diagonale Volante“), 4 SL vor dem Ende der Route, kann man zur Not im Sitzen biwakieren. Halleluja!

Wegen der vielen Quergänge und Dächer klettert der Nachsteiger alles, anstatt zu jümaren. Der Vorsteiger sichert also nach (Plate) und hault gleichzeitig bzw. abwechselnd, was mit einem leichten Haulbag gut funktioniert. Am besten klettert man mit einem 50-m-Einfachseil und einem 60-m-Halb- oder Zwillingsseil als Haulline. Den Haulbag kann man nach 40 oder sicherheitshalber gut 40 Metern anhängen. Mit dem Restseil kann man den Haulbag „rauslassen“. In der langen Querung am Ende der Route wird der Haulbag aber auch mit 20 m Restseil einen großen Swing machen. Wer wertvolle Keramik im Haulbag mitführt, stückelt in diesen beiden Seillängen besser noch etwas Reepschnur an…

Wer die Route in einem Tag klettert, verzichtet natürlich aufs Haulen und nimmt stattdessen einen kleinen Rucksack mit. Und statt dem Haulseil eine leichte Abseilleine, für Notfälle – oder alternativ ein längeres Einfachseil. Es lohnt sich auch, die ganze Route in Kletterschuhen zu klettern. Sogar im oberen Wandteil gibt’s hier und da Freikletterei bzw. kann man ganz gut A0 klettern.

Rückzüge

Den unteren, plattigen Wandteil kann man recht einfach abseilen – sofern man die Stände wieder findet. Aus dem oberen Wandteil kommend kann das nicht nur bei Nacht schwierig werden.

Verschlissene Kletterhandschuhe.
Etwas Verschleiß gehört dazu. Foto: M. Schuster

Dem oberen Wandteil kann man wegen der vielen Dächer und Quergänge nicht mehr so einfach entkommen. Umso wichtiger also, sich vorab ein paar Gedanken zu machen, und verschiedene Rückzugstechniken zu trainieren. Eine Kombination aus Ablassen des Kletterpartners und Zurückklettern sollte am besten funktionieren. Hilfreich für solche Techniken ist ein langes Einfachseil. Für den Fall, dass ein Zwischenstand eingerichtet werden muss, sollten Bohrkit sowie eine lange Reepschnur zum Verbinden mehrerer Haken greifbar sein.

Ab ca. Seillänge 19 sollte man unbedingt über die Route „Universo Giallo“ runter (dort kreuzen sich die beiden Routen). Das Gelände ist hier weniger extrem, und es sind überall gute Haken verfügbar. Im Zweifelsfall aber die Flucht nach vorne ergreifen. Selbst bei starkem Regen wird man erst nach dem letzten Dach nass, und dann kommt nur noch eine letzte Seillänge!

Empfohlene Ausrüstung (Stand 02/2019) – ein paar Punkte…

  • Mindestens 25 Exen
  • Solide Bandleitern
  • Handschuhe
  • Bohrkit (siehe oben)
  • Leichtes Biwakkit
  • Wasser: ca. 4,5 l pro Person für eine Begehung mit Biwak
  • Cams und Keile braucht man nicht

Monte Brento Ostwand, Universo Giallo – Routeninfos

Charakter

In den ersten 10 Seillängen einfache Plattenkletterei mit einzelnen steileren Aufschwüngen. Der Fels ist hier meist okay. Ab Seillänge 11 klettert man im überhängenden Wandteil. Ab hier ist der Fels leider sehr durchwachsen. Im Bereich SL 11 bis 20 hängt die Route viel weniger über als die „Via Vertigine“. Seillänge 21 verläuft dann erstmals durch eines der Riesendächer (das „Große Zentrale Dach“). Diese Länge ist zugleich die Schlüssellänge. Die Hakenabstände sind hier größer als in den Dächern der „Vertigine“. Von nun an ist man sehr exponiert, was der Angelegenheit dann letztendlich doch noch einen recht ernsten Charakter verleiht. Fürs „Universo Giallo“ spricht, dass sie insgesamt weniger heikel ist. Die coolere Route ist und bleibt aber ganz eindeutig die „Vertigine“!

Hakenmaterial (Stand 03/2019)

Alter Schritt im Universo Giallo.
Alter Schrott im Universo Giallo. Foto: F. Miller

Die ganze Route wurde recht üppig mit 8-mm-Expressankern eingerichtet, was mich persönlich stilistisch überhaupt nicht überzeugt. Die Seillängen 11 bis 17 wurde schon 1975 eröffnet, von H. Steinkötter und Gef. Hier steckt zusätzlich zum neuen Material jede Menge Schrott.

Taktik 

In der vorletzten Seillänge des Plattenpanzers (SL 9) gibt es einen bequemen, aber nicht steinschlaggeschützten Biwakplatz. Ein schnelles Team mit leichtem Gepäck braucht bis dahin allerdings nur ca. 3 h (inkl. Zustieg!). Ich würde die Route deshalb nicht mit Biwak klettern. Voraussetzung für eine entspannte Tagesbegehung ist jedoch, dass man mit den Techniken des Simultankletterns vertraut ist. Bis unters „Große Zentrale Dach“ kann man immer wieder gut simultan klettern.

Rückzüge

Bis einschließlich Seillänge 20 viel weniger problematisch als in der Vertigine. Danach ist Schluss mit lustig. Wahrscheinlich gelingen Rückzüge am besten mit einem 70-m-Einfachseil mit gut sichtbarer Mittenmarkierung.

Empfohlene Ausrüstung (Stand 02/2019) – ein paar Punkte…

  • 25 Exen
  • Solide Bandleitern
  • Handschuhe
  • Wasser: ca. 2,5 l pro Person für eine Begehung ohne Biwak
  • Stirnlampen + Notfallstirnlampe
  • leichtes Biwakkit
  • Cams und Keile braucht man nicht

Ein Bohrkit wäre an sich sinnvoll, allerdings ist ein Ausbruch eines entscheidenden Hakens nach SL 17 sehr unwahrscheinlich. Und bis zu diesem Punkt sollte ein Rückzug ohne große Probleme gelingen, sofern man wirklich nicht mehr weiterkommt.

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Bergfreund Fritz

Zum Klettern und Bergsteigen kam ich, weil etwas wie eine große Faszination für die steile Welt in mir verankert ist (und durch ein paar Zufälle). Sicher ist es zu viel zu früh für ein Fazit. Aber wenn ich auf meine mittlerweile rund 25 Kletterjahre zurückblicke, denke ich, dass ich den Bergen und Wänden viel zu verdanken habe.

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