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Eine Winterwanderung durch Norwegen

Inhaltsverzeichnis

Eigentlich sollte es eine sehr lange und sehr kalte Tour werden. Eigentlich wollte unser Kollege Simon aus der Onlineredaktion seine letzte Tour im Winter wiederholen und Norwegen der Länge nach durchqueren. Kalt wurde es zwar, aber nicht so lange wie eigentlich geplant.

Doch leider kam dann alles etwas anders als geplant und er war früher zurück als erwartet.

Warum das so war, und warum Simon es jederzeit wieder machen würde, und was Ole damit zu tun hatte, erfahrt Ihr hier in seinem Bericht.

Mit Backcountry-Ski und Pulka-Schlitten einmal quer durch Norwegen
Mit Backcountry-Ski und Pulka-Schlitten einmal quer durch Norwegen

Ohne Hals und Beinbruch wieder daheim

Nun sitzen wir wieder daheim, früher als geplant haben wir unsere Reise beendet. Gut vorbereitet sind wir am 27. Dezember aufgebrochen. Alles war perfekt geplant und mit der besten Ausrüstung, die man sich vorstellen kann, haben wir uns in unser großes Abenteuer aufgemacht. Mit viel Leidenschaft haben wir uns der Herausforderung gestellt, haben uns gequält und viele unfassbar schöne Momente und Eindrücke während der Tour gesammelt. Die Anstrengung war groß, aber die Verhältnisse vor Ort in Norwegen waren teilweise nicht gerade traumhaft-winterlich. Aber das gehört nun mal dazu, wenn man sich auf ein solches Abenteuer einlässt.

Ut på tur – aldri sur! Draußen sein macht fröhlich!

Zu Anfang hieß es, sich erst einmal zusammenzufinden und einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Es fällt mitunter schon schwer, wenn der Wecker am Morgen um 5:00 oder 6:00 Uhr klingelt, und man sich aus dem kuscheligen Schlafsack schält, um anschließend noch vor Sonnenaufgang auf den Skiern zu stehen und dann bis zum Sonnenuntergang so weit wie möglich voranzukommen. Anfang Januar verschwindet die Sonne bereits gegen 15:00 Uhr und es wird dann rasch dunkel. Wir liefen aber dennoch mit der Stirnlampe auf dem Kopf weiter und versuchten, den Tag so lange wie möglich auszureizen.

Wenn der Vollmond endlich am Himmel erscheint, wird alles in ein fahles Licht getaucht und die Dunkelheit relativiert sich schnell. Die Augen gewöhnen sich rasch an das wenige Licht, und mitunter läuft einem ein Schauer über den Rücken, wenn man wie durch die Kulisse eines Jack London Romans läuft. Man muss sich öfters kneifen und einfach den Moment genießen, auch wenn einen die Anstrengung zu übermannen droht und man vor Erschöpfung kaum noch stehen kann. Solche Momente machen den großen Reiz aus, und für einen kurzen Augenblick hält man gerne staunend inne. Wer kann schon solche unfassbaren Momente erleben? Je größer die Anstrengung, desto schöner die Belohnung, jedenfalls manchmal.

Vor Sonnenaufgang auf den Skiern stehen, um den Tag so lange wie möglich auszureizen.
Vor Sonnenaufgang auf den Skiern stehen, um den Tag so lange wie möglich auszureizen

Jeden Tag aufs Neue!

Tag für Tag machen wir uns daran, weiterzukommen, packen wieder unser Zeug zusammen und verstauen alles wieder im Schlitten. Es ist anstrengend, man freut sich auf die Pausen und auf die nächste große Cola. Das Essen wird zunehmend wichtiger, der Kalorienverbrauch steigt stetig an, da der Körper sich immer mehr an die Anstrengung gewöhnt und nach neuem Treibstoff verlangt. Eine solch lange Tour unterscheidet sich grundlegend von einer reinen Spaß- und Urlaubstour.

Man wartet nicht im Schlafsack, bis die Sonne einem auf das Zelt scheint und frühstückt dann gemütlich davor. Man muss sich ein ums andere Mal überwinden, muss sich seinem inneren Schweinehund stellen. Die eigenen Grenzen erreicht man oft spielend leicht, viel leichter als erwartet, eine spannende Erfahrung, die Demut lehrt. Nur durch gute Ausrüstung ist noch keinem etwas geschenkt worden, der 50 kg schwere Schlitten fährt nicht von allein, und wenn man den Hügel mal wieder nicht sofort hinauf gelangt, liegt das meist nicht an den Skiern, sondern an der eigenen schlechten Technik, sich mit den Skiern fortzubewegen. Die Schuld, wenn es nicht läuft, kann man meist einfach nur bei sich selber suchen, es gibt keine Ausreden.

Romantisches Abendessen in Norwegen
Da der Kalorienverbrauch stetig ansteigt, wird das Essen zunehmend wichtiger

Voranzukommen bedeutet harte Arbeit, und das jeden Tag

Auch das Wetter, die Kälte und der Schnee sind jeweils spannende Faktoren. Der eine Tag ist wunderschön, die Sonne scheint, die eiskalte, klare Luft ermöglicht einen Blick weit über die Berge vor einem und man möchte in diesem Augenblick mit niemandem tauschen. Andere Tag beginnen damit, dass morgens um 5:00 Uhr der Wecker klingelt und im Zelt alles feucht ist. Die Klamotten, der Schlafsack, einfach alles. Der Kondens hat sich überall niedergeschlagen und ist zu einer dünnen Schicht gefroren. Alles, was man nun anfasst, wird nass und klamm. Die Stiefel sind zu einem Klumpen Eis gefroren, das Müsli mit der Trockenmilch schmeckt furchtbar und nach den 40 Kilometern vom Vortag steht heute wieder dasselbe Pensum an. Und täglich grüßt das Murmeltier. Wie schön wäre es dann, sich noch einmal im warmen Bett daheim umzudrehen, und den Tag dann gemütlich mit einem leckeren, frischen Kaffee zu beginnen. Aber all das weiß man vorher, wenn man sich auf eine Tour dieser Art einlässt. Darauf kann man sich einstellen und daran auch gewöhnen, es gehört einfach dazu.

Wir sind gut vorangekommen. Die Form wird immer besser, auch lange Tage verlieren langsam ihren Schrecken. An die Kälte hat man sich irgendwann gewöhnt, nur die kalten Finger nach jeder Pause zehren immer wieder an den Nerven. Die Planung scheint aufzugehen, die Tagesdistanzen wachsen bis auf 55 km, und die Verhältnisse werden immer besser. Auch schwierige Passagen haben wir gemeistert, Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten getankt.

Auch das Wetter, die Kälte und der Schnee sind ein spannender Faktor
Das Wetter, die Kälte und der Schnee sind spannende Wegbegleiter

Mutter Natur gibt immer den Rhythmus vor

Mangelnde Sicht auf der norwegischen Durchquerung
Die Plaung schien aufzugehen und dann kommt „Ole“

Und dann kommt „Ole“ – ein Sturm, der beinahe ganz Nord-Norwegen lahmlegt und das Wetter und die Verhältnisse im Fjell gewaltig durcheinander bringt. Wir planen um, schmeißen alles über den Haufen, um dem schlechten Wetter zuvorzukommen, aber es nützt nichts. Der Weg nach Norden wird uns abgeschnitten, nichts geht mehr. Eine Pause von mindestens einer Woche irgendwo im Nirgendwo blüht uns, bevor die Verhältnisse sich eventuell irgendwann verbessern.

Keine Perspektive für uns, die wir nur 90 Tage Zeit für unsere Wanderung haben. Eine so lange Pause kommt einem Ende unserer Pläne gleich, und so treffen wir eine Entscheidung. Wir haben hin und her überlegt, diskutiert, und alles durchdacht. Die Lawinenwarnstufe steht auf Rot und der Wetterbericht verspricht erst starken Regen und anschließend unglaublich viel Neuschnee. Die Flüsse werden aufbrechen und auf den Seen wird das Eis durch den vielen Regen auch nicht sicherer. Die Entscheidung steht schnell; denn die Natur hat sie uns abgenommen. Für uns geht es nicht weiter.

Unser Plan, der eigentlich so gut aufgegangen war, ist durchkreuzt worden von einem Wintersturm. So bitter die Entscheidung zum Abbruch: dieses Damoklesschwert schwebt über jeder Unternehmung, die man draußen macht. Denn die Natur ist nicht planbar, sie ist unberechenbar und bleibt immer der Chef im Ring. Das weiß man vorher auch schon, doch wenn es dann wirklich soweit ist, tut es trotzdem weh. Auf Tour muss man permanent Entscheidungen treffen   und dabei so oft wie nur möglich die richtige Entscheidung zu treffen, das ist die große Kunst. Die Fehlertoleranz im skandinavischen Winter ist gering, der kleinste Fehler, Übermut oder mangelnde Demut vor den Naturgewalten resultieren ganz schnell in (lebens-) gefährlichen Situationen.

Romantische Szene mit Zelt in Norwegen
Es gab viele unfassbar schöne Momente und Eindrücke während unserer Tour

Fjellvettregel No.8: Snu i tide – kehre rechtzeitig um!

Wir sind uns diesen Gefahren immer bewusst, wenn wir draußen unterwegs sind. Wir gehen keine Risiken ein, und so treffen wir die Entscheidung, mit unserer Tour aufzuhören, ohne Groll. Natürlich ist es schade, und auch ein wenig bitter, diesen Traum aufzugeben, aber so ist es halt manchmal. Wir sind draußen unterwegs und da gibt die Natur die Regeln und den Weg vor, das sollte man sich immer wieder selbst bewusst machen.

Wir hatten eine unfassbare intensive Zeit mit allem, was man sich nur vorstellen kann. Über 800 km haben wir zurückgelegt, mit der ganzen Bandbreite an Emotionen und Erlebnissen, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Wir hatten sämtliche Wetterlagen, die man im Fjell erleben kann. Wir hatten unfassbare Morgenstimmungen, und sind im Blindflug durch den White-Out gestapft. Am einen Tag sind wir 55 Kilometer gelaufen, an anderen nur 300 m pro Stunde vorangekommen. Wir haben im Zelt, im Hotel, in der Jugendherberge, in der Hütte, im Vorraum einer Toilette, im Stall, im Kinderzimmer und in der Pension übernachtet. Wir haben geschlemmt, und dann ist uns einmal beinahe das Essen ausgegangen. Und wir haben so unglaublich gastfreundliche und warmherzige Menschen getroffen, wie man sie nur auf Tour trifft, ich sage nur „Trail-Magic“!

Morten Helgesen, Simon Michalowicz, Durchquerung Norwegen
Die zwei Abenteuerlustigen auf ihrem Weg Norwegen zu durchqueren © Morten Helgesen

Wir kommen wieder – Norwegen ist einfach das Friluftsliv-Paradies

Wenn man mich zwischendurch gefragt hätte, ob ich nach Hause will, hätte ich oftmals ohne zu zögern sofort „JA!“ gesagt, so anstrengend war es mitunter. Ein warmes Büro kann manchmal sehr verlockend sein. Aber es war alle Mühen, die ganzen Vorbereitungen und großen Anstrengungen, wert. Es war eine so intensive Zeit, dass es noch lange dauern wird, all das Erlebte zu begreifen und zu verarbeiten. Ob ich noch einmal versuchen würde, Norwegen im Winter zu durchqueren? Ja, ohne Wenn und Aber!

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Bergfreund Simon

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