Die Bergwiesen haben schon einen herbstlich braunen Anstrich, die blühenden Herbstzeitlosen künden bereits von den ersten kühlen Tagen. Bäche hüpfen fröhlich glucksend von den weißen Gipfeln ins Tal hinab. Der Tannenhäher kreischt mit seinem forschen Ruf durch die ruhige Bergesluft. Tief unter mir breiten sich die Häuser von Zermatt im malerischen Talkessel aus, dazwischen hektisches Gewusel. Darüber thronen majestätisch und gletscherstrotzend die Viertausender der Bergwelt um das Tal der Mattervispa. Eigentlich sollte man hier inne halten, die Szenerie genießen, in sich aufsaugen und die Seele fliegen lassen. Aber nicht jetzt, der letzte Downhill steht an, 4 km, teilweise steil, in Serpentinen, 1.000 Hm bergab, um im Trubel von Zermatt unterzutauchen.
Tag 1 – Ankommen
Es ist bereits 22:30 Uhr, als Jörn und ich im mondänen Zermatt ankommen. Ehemals Bergdorf der armen Bevölkerung, ist es heute ein alpiner Laufsteg der Schönen und Reichen, für Bergsteiger aller Couleur, und an diesem Augustwochenende auch für Trailrunner. Letztere kommen zu den Matterhorn Ultraks Trail. Davon ist in dieser angebrochenen Augustnacht recht wenig zu sehen, als wir aus dem Bahnhof stiefeln. Das Auto steht im Matterhorn Terminal in Täsch, einem Parkhaus für nicht weniger als 2.100 Fahrzeuge – Zermatt ist autofrei.
Wir haben sechseinhalb Stunden Autofahrt in den Knochen, Stau um Zürich, freie Strecken auf die Alpengipfel zu, 15 Minuten Autozug durch den Lötschberg und schließlich noch Gekurve hinter einem nicht allzu schnellen Holländer her. Die letzten Meter zum Hotel Monte Rosa geht es dann mit der Elektromobilität – kleine, strombetriebene Fahrzeuge, die die Gäste in Zermatt hin und her kutschieren, die meisten gefahren von Concierges der diversen Hotels. Die freundliche Dame an der Rezeption teilt uns dann beim Einchecken gleich mit, dass die Truppe von Peak Performance, auf deren Einladung wir hier sind, gerade eben zum Essen aufgebrochen ist. Super, das Loch im Magen ist groß. Also kurz das Zimmer checken – Duschbad, Masterbathroom en suite, begehbarer Kleiderschrank, Lounge-Area, bequeme Betten und Föhn, alles da. OK, ab zum Essen. Dort gibt es nach einigem Hallo an die Gruppe Seebrassen-Filet mit Basilikum-Risotto. Schließlich fallen wir todmüde ins Bett und träumen, träumen von Bergwiesen, Bergriesen und …
Tag 2 – Akklimatisieren
… dem Matterhorn. Vermutlich der bekannteste und meist fotografierte Schutthaufen der Welt, wahrscheinlich auch einer der schönsten und mit Sicherheit der einzige in Schokolade modellierte. Eben jenes kühne Horn, das sich direkt oberhalb von Zermatt gen Himmel streckt, gab dem Matterhorn Ultraks Trail seinen Namen (wir haben berichtet). Und es grüßt ins Tal, direkt auf unseren Balkon herab, als ich morgens um 7:30 Uhr in die Morgensonne trete. Ein grandioser Anblick zum Start in den Tag.
Schließlich entern Jörn und ich den Frühstücksraum und machen uns über das Frühstücksbuffet her. Das ist reichlich und schmackhaft. Leider können wir uns nicht hemmungslos die Bäuche voll hauen, denn ein Probelauf mit der Peak Truppe steht nachher noch an. So kommt es schließlich, dass sich die ganze bunt zusammen gewürfelte Truppe im Hotelgarten trifft. Nach einer zwanglosen Vorstellungsrunde bekommen wir ein kleines Streckenbriefing – hier gilt es Gas zu geben, hier ist Vorsicht geboten, hier verbergen sich Tücken, ab da hast Du es geschafft. Bisher war ich recht relaxt, aber ich muss sagen, die Anspannung steigt -genau wie die unbändige Vorfreude!
Zum ersten mal auf der Piste unterm Matterhorn
Dann geht’s endlich auf die Piste, wir lernen in einem gemütlichen Lauf die ersten vier Kilometer der Strecke kennen. Da will ich aber nun nicht zu weit vorgreifen. Nur so viel: es ist eine schöne Runde, und es werden erste Kontakte geknüpft. Nicht zuletzt das Matterhorn wird bestaunt.
Der Rest des Tages ist zur freien Verfügung. Zermatt wird erkundet, der Bergsteigerfriedhof mit seinem ganz besonderen Charme besucht, soziale Kontakte im Internet gepflegt – und der Spa-Bereich wird ausgiebig genutzt mit Whirlpool, sonnenbeschienener Wasserliege und Massagedüsen. Ja, so kann man sich’s gut gehen lassen. Da gibt es eine Anekdote. Jörn und ich stehen voll bepackt, mit Slipper, Bademantel und Handtuch an der Rezeption, im Begriff, den Spa-Bereich aufzusuchen, und geben unseren Schlüssel ab. Der nette Mann an der Rezeption guckt uns ein wenig ungläubig an und meint: „Im Spa-Bereich ist alles vorhanden. Sie müssen nichts mitnehmen.“ Also wieder aufs Zimmer stiefeln und das Zeug wegbringen. So ist’s halt, wenn Bauern die Stadt entern wollen. Abends steht dann ein gediegenes Meet-and-Greet im Peak Performance General Store an. Hach, haben die viele schöne Sachen – aber schließlich gibt es nur ein paar Leckereien sowie ein Matterhorn Ultraks Stirnband.
Da der Magen inzwischen doch ziemlich knurrt, freuen wir uns nun auf ein Vier-Gänge Menü bei Guiseppe’s: Leckerer Salat, Pasta-Variationen mit Garnelen, Kalbsfilet mit Risotto und eine Art Tiramisu – sehr, sehr lecker. Satt, zufrieden, müde und voller Vorfreude auf den kommenden „Raceday“ fallen wir schließlich ins Bett, nachdem ich bereits mein Zeug für das Rennen hergerichtet habe und träumen, träumen von Gletschern, Downhills, dem Matterhorn und …
Tag 3 – Runner’s High
Klingeling – 5:45 Uhr. Nein, davon haben wir nicht geträumt. Der Wecker reißt mich aus den schönsten Träumen. Ab jetzt läuft alles wie im Tunnel ab. Katzenwäsche, die gestern bereitgelegten Laufklamotten anziehen, Fleecejacke drüber, die gestern schon vorbereiteten Soft Flasks füllen, und die restlichen Sachen hinrichten. Die Aufregung steigt. Ab zum Frühstück. Hier herrscht bereits ein reges Durcheinander, andere Läufer sind auch schon da. Ob die genau so aufgeregt sind? Ein wenig Bircher Müsli mit Obst, ein warmer Tee und ein Croissant, das muss reichen. Mehr lässt mein aufgeregter Magen heute Morgen gar nicht zu. Die Aufregung steigt weiter. Jörn ist noch schrecklich cool.
Der Start
Dann geht’s in den Startbereich, der sich direkt vor unserer Hoteltür befindet. Es herrscht bereits reges Treiben, viele Trailrunner finden sich inzwischen am Start ein, wollen auch die 46k Runde in Angriff nehmen – 48 km und die 3.600 Hm. Für die einen zählt jede Sekunde, jeder Platz, andere wollen einfach nur durchkommen und die grandiose Landschaft genießen. Ich habe mir vorgenommen unter 7:00 h zu bleiben, hoffe auf 6:30 h und träume von 6:00 h. Aber es ist mein erstes Rennen über eine Ultramarathon Distanz. Daher geh ich’s eher mal defensiv an. Die Aufregung ist nun auf ihrem Höhepunkt. Zum Glück geht’s gleich los, noch mal den Transponder checken, die Schnürsenkel fest ziehen, dann geht’s auch schon los – 7:30 Uhr. Die zahlreichen Zuschauer feuern uns an, ich bilde mir ein, Jörn herausgehört zu haben. Langsam fällt die Aufregung ab und setzt sich in Freude um; Freude auf herrliche Trails, traumhafte Ausblicke, rasante Downhills und auf das Ausloten der eigenen Grenze, psychisch und physisch.
Zunächst zieht die Strecke durch Zermatt, erst eben, dann leicht ansteigend. Irgendwann biegen wir links ab, von der Straße auf den Trail, es wird steil, das Tempo angepasst, die Stöcke werden scharf gemacht, das Geklacker beginnt. Jeder sucht sein Tempo, ich überhole einige Läufer, die wie ich auf Grund der Steilheit zu Gehern werden. Nach den ersten 400 Hm folgt eine herrlich zu laufende Traverse oberhalb Zermatts, bevor es die letzten 300 Hm hinauf zur Bergstation Sunnegga geht. Wir kommen aus dem Wald, der Blick öffnet sich, genauso jauchzt das Herz – vor Steilheit und Freude. Weißhorn, Obergabelhorn, Matterhorn und Co. grüßen von der anderen Talseite. Die Sonne strahlt mit mir um die Wette. An der Sunnegga ist die erste Verpflegungsstation, die reichlich bestückt ist – Iso, Wasser, Tee, Cola und Bouillon, Riegel, Apfel, Orange, Kekse, Rosinen und Reiswaffeln. Gurken, Tomaten und Salz fände ich noch cool, aber es ist ausreichend für mich. Also verpflegen und anschließend den ersten Downhill hinab stürzen – dabei gilt es, das wunderhübsche Almdorf rechts und links der Strecke wahrzunehmen.
Hoch hinaus
Aber nach 300 Hm ist dann wieder Schluss, der längste Anstieg steht an. 1.130 Hm geht es hinauf zum Gornergrat, nonstop, teilweise sehr steil und in der prallen Morgensonne. Nicht nur topografisch der Höhepunkt der 48km Runde. Die letzten paar 100 Meter hinauf führen durch ein schreckliches Skigebiet, aber von oben hallen bereits die begeisterten Anfeuerungsrufe der zahlreichen Touristen, Wanderer, Bergsteiger und Betreuer. So gehen die letzten Höhenmeter umso schneller und leichter, und ich tauche ein in die Wahnsinnsstimmung – vor allem die begeisterten, japanischen Reisegruppen sind mir in Erinnerung geblieben. Oben heißt es kurz innehalten, um die überwältigende Aussicht zu genießen. Die Pause ist viel zu kurz, dieser Ort hätte mehr Genießen und Ausblicken verdient, aber nach Cola und Tee geht’s weiter. Über einen rassigen Downhill geht’s abwärts, vorbei an unzähligen japanischen Reisegruppen, dem berühmten Riffelsee mit dem perfekten Spiegelbild des Matterhorns und einigen Wanderern, bis schließlich die Riffelalp erreicht ist. Nach einer kurzen, leicht steigenden Traverse neigt sich der Weg wieder zum Downhill, der technischste Teil steht an, Vorsicht ist geboten, es ist teils feucht, wurzelig, steil. Es geht nach Furi runter, hier ist die Hälfte der Strecke erreicht. Wie, verdammt, erst die Hälfte?!
Kurz vor Furi wird’s nochmal spannend, eine wackelige Hängebrücke muss überquert werden, der Blick fällt unweigerlich zwischen dem Gitterstahl in die gähnende Tiefe. Ok, würde reichen um sich weh zu tun. Also, Blick nach vorne gerichtet, auf den Rucksack vor mir, und stoisch drüber stiefeln. Laufen ist verboten. Warum? Kann die Brücken reißen, kippen? Ach ich will’s nicht wissen, bloß drüber. Zwischendrin muss ich unweigerlich an „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ denken. Aber ich hab’s geschafft, mir wurde auch berichtet, die Brücke hängt noch.
Zwischentief mit Magenproblemen
In Furi gibt’s nur Getränke, aber mein Magen will irgendwie nicht mehr und fühlt sich komisch an. Vorsichtig trinke ich, habe aber das Gefühl, dass alles retour will. Gut, also vorsichtig ein paar Schlucke genippt und hinein in den Anstieg hinauf nach Schwarzsee. Zunächst durch Wald, später durch die sengende Mittagssonne geht’s über 700 Hm aufwärts, mein Magen wird schlimmer, ich fühle mich nicht gut. Weiterkämpfen, quäl dich du Sau. Irgendwann bin ich oben. Ich will heulen, mich in die Seilbahn setzen, gemütlich nach Zermatt schweben und mich ins Bett legen. Blödsinn, erstmal mach ich ne längere Pause, versuche, langsam was zu essen und zu trinken. Es wird besser, ich breche irgendwann wieder auf, zunächst auf breiten Schotterwegen, dann über herrliche Trails abwärts ins Tal des Zmuttbaches. Ich erhole mich zum Glück und kann mich an den letzten ernsten Anstieg machen. Hinter mir dräut die abschreckende Nordwand des Matterhorns in all ihrer Steilheit und Pracht – nicht zu glauben, dass man da in zweieinhalb Stunden durchrennen kann.
Vorbei am ebenso beeindruckenden wie tosenden Arbenfall geht’s nochmals teilweise sehr steil über 600 Hm aufwärts. Die Aussicht ist einfach überwältigend, Monte Rosa, Liskamm und Mischabelkette grüßen von der anderen Talseite herüber. Der Aufstieg ist geschafft, der Weg führt wellig auf 2700 Meter Höhe dahin. Toll zu laufen, da geht jedem Trailrunner das Herz auf. Nach einem kurzen, knackigen Abstieg, der in Serpentinen steil nach unten zieht, ist das Gasthaus Trift erreicht. An dieser letzten Verpflegungsstation heißt es, noch mal versuchen, die Tanks ein wenig zu füllen.
Schlusssprint und Zieleinlauf
Ca. 8 km sind es von hier noch ins Ziel in Zermatt, 8 km noch in Bergeseinsamkeit, bevor ich wieder in den Trubel der mondänen Touristenhochburg eintauche. Zunächst aber muss ich noch 200 Hm aufwärts, bevor, na ja, da waren wir anfangs schon mal. Die Bergwiesen haben schon einen herbstlich braunen Anstrich, die blühenden Herbstzeitlosen künden bereits von den ersten kühlen Tagen. Bäche hüpfen fröhlich glucksend von den weißen Gipfeln ins Tal hinab. Der Tannenhäher kreischt mit seinem forschen Ruf durch die ruhige Bergesluft. Tief unter mir breiten sich die Häuser von Zermatt im malerischen Talkessel aus, dazwischen hektisches Gewusel. Darüber thronen majestätisch und gletscherstrotzend die Viertausender der Bergwelt um das Mattertal. Eigentlich sollte man hier inne halten, die Szenerie genießen, in sich aufsaugen und die Seele fliegen lassen. Aber nicht jetzt, der letzte Downhill steht an, vier Kilometer, teilweise steil, in Serpentinen, 1.000 Hm bergab, um im Trubel von Zermatt unterzutauchen und die Stimmung in sich aufzusaugen. Ich konnte im Downhill noch mal fünf Läufer hinter mir lassen, fühle mich noch richtig gut. Als ich dann in die Zielgerade einbiege, scheine ich allein auf der Strecke zu sein, kein Läufer vor mir, kein Läufer hinter mir, nur ich und das begeisterte Publikum. Ich bekomme eine Gänsehaut, genieße den Zieleinlauf wie nie zuvor, bin voller positiver Emotionen.
Nach einem Cool-Down im Chill-out Bereich, einigen Bechern Cola und Bissen Banane sowie dem Abholen des echt coolen Finisher-Shirts sind Jörn und ich direkt gen Spa-Bereich aufgebrochen; diesmal sogar ohne verwunderten Blick durch das Hotelpersonal. Ja, wir sind angekommen.
Da liege ich nun auf der Wasserliege, lasse meinen strapazierten Körper von der Sonne bescheinen, Wasser plätschert. Lustige Luftblasen massieren meine Beine. Hier lassen wir den Lauf Revue passieren. Ich muss sagen, der beste Lauf, an dem ich bisher teilgenommen habe. Die Strecke mit all den Aus-, Tief- und Weitblicken, den traumhaften Trails und rassigen Downhills. Die Organisation mit Verpflegung, Streckenmarkierung, Helfern und Co. war bestens. Mit meinem 67. Platz in 6:55 h:mm bin ich sehr zufrieden, viel wichtiger war aber dieses wahnsinnig geile Gefühl fast den gesamten Lauf hindurch und die pure Emotion beim Zieleinlauf. Ich glaube man nennt das auch Runner’s High – ein Runner’s High über jeden der 48 gelaufenen, gelittenen und gerannten Kilometer.
Epilog
Hinter uns verschwinden langsam die Schweizer Alpen am Horizont während wir im Auto über den Asphalt düsen – und damit werden die Matterhorn Ultraks zur Erinnerung. Die Peak Performance Truppe hat sich wieder in ganz Europa verteilt. Unser Zimmer im Hotel Monte Rosa ist bestimmt schon für die neuen Gäste hergerichtet, die sich über das frische Obst und die Mini Bar freuen. Wir freuen uns auf unsere Frauen, die uns zwei Helden bestimmt auch sehnlichst erwarten. Ich glaube, an dieser Stelle möchte ich meinen Dank loswerden. Danke an Peak Performance, dass sie uns eingeladen haben, diese tollen Tage in Zermatt verbringen zu dürfen und beim Matterhorn Ultraks teilzunehmen. Danke an Mareen von Peak Performance, die das für uns ganz grandios gemanagt hat. Danke an Jörn, warst ein sehr angenehmer Zimmergefährte – zwei Chaoten vom Land im mondänen 4-Sterne Schuppen. Und zu guter Letzt danke an Yvonne, dass sie meine ganzen Läufereskapaden aushält – nicht selten hat der Wecker an einem Sonntagmorgen um 5:00 Uhr geklingelt, damit der Herr bei angenehmen Temperaturen drei Stunden durch die Landschaft rennen kann. Danke!!
Im Radio spielt inzwischen eines meiner liebsten Lauflieder (Imagine Dragons – On top of the world):
‘Cause I’m on top of the world, ‘ay
I’m on top of the world, ‘ay
Waiting on this for a while now
Paying my dues to the dirt
I’ve been waiting to smile, ‘ay
Been holding it in for a while, ‘ay
Take it with me if I can
Been dreaming of this since a child
I’m on top of the world.
In diesem Sinne, lauft weiter, bis ihr auf der Spitze der Welt seid – so wie ich beim Matterhorn Ultraks 2015!