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Felsnadeln im Meer – Sea-Stacken im schottischen Norden

Inhaltsverzeichnis

Felsnadeln im MeerOld Man of Hoy, Westküste Schottlands,Bergfreunde Klara und Georg
Der „Old Man of Hoy“ an der Westküste Schottlands

Wie ein riesiger Brandungspfeiler steht der „Old Man of Hoy“ an der Westküste Schottlands. Bergfreunde Klara und Georg hatten schon einiges von der Felsnadel im Meer gehört und stellten sich vor Kurzem der 137 Meter hohen Herausforderung.

Erfahre mehr vom schottischen Sea-Stack-Kletterabenteuer inklusive eisigen Wassertemperaturen, widrigen Kletterbedingungen und wütenden Vögeln.

 

 

„Great Britain“ ist für Vieles bekannt, unter Anderem leider auch für niedrige Temperaturen und viel Regen. Nicht dass wir schlechtes Wetter und Kälte mögen, normalerweise bevorzugen wir Kletterreisen in südliche Regionen. Es braucht schon etwas Außergewöhnliches, um uns im Frühsommer auf 58° nördliche Breite zu locken. Genauer gesagt, in den schottischen Norden. Ein Kletterabenteuer am höchsten, freistehenden Sea-Stack Europas, dem „Old Man of Hoy“ in der Einöde von Orkney sollte es wert sein, Grundsätze über Bord zu werfen.

Der Papageientauchern bereitet sich für die „Taufe“ am Hoy vor
Der Papageientaucher bereitet sich für die „Taufe“ am Hoy vor

Kampf zwischen Meer und Land

Meine Hand klatscht auf die sandige Kante über meinem Kopf, mit den Füßen suche ich auf dem hellgrün bemoosten Fels nach sicheren Tritten. Um mich herum fliegen und schreien dutzende von Eissturmvögeln und Papageientauchern. Unter mir donnern türkisblaue Wellen gegen den Felsen– alles lebt, bebt und pulsiert. Es fällt mir schwer mich zu konzentrieren, es fühlt sich an wie Klettern mitten in einer riesigen Voliere! Vorsichtig ziehe ich mich an einer Kante hinauf und starre plötzlich in zwei Vogelaugen: ein dicker, brütender Fulmar sitzt keinen Meter von meinem Gesicht entfernt. Steif vor Schreck verharrt mein Körper, während sich meine Gedanken überschlagen. Ich sollte schleunigst weiter klettern, denn ich weiß, er wird sich verteidigen.

Mein Blick fällt weit hinunter zur letzten Sicherung, einem Totem Cam in der schmierigen Felsritze. Ganz schön miese Kanten… „Schnell, kletter weiter“ spornt mich Georg von seinem luftigen Stand aus an. Verzweifelt suche ich nach Griffen und Tritten, um höher zu steigen, während der dicke Fulmar schon bedrohlich seinen Schnabel aufreißt. Aus seinem Krächzen wird mit einem Mal ein Schwung voll halbverdauter Fischkotze, der in meine Richtung fliegt. Ich bin keinen Zentimeter weiter gekommen, als mich der nächste Schwall gelber Sauce von Kopf bis Fuß bedeckt. Jetzt kann ich mir Zeit lassen. Wie oft hatte ich von dieser „Taufe“ am Hoy schon gelesen?! Ein schallendes Gelächter von unten begleitet mich zum nächsten Stand. Es tröstet mich nur die Gewissheit, dass dort unten noch zwei weitere Fulmare auf Georg warten. Meine persönliche Schlüsselstelle liegt nun hinter mir – vor uns nur noch eine wunderschöne Rissverschneidung, die uns bis zum Gipfel führt.

 

Old Man of Hoy & Yesnaby Castle

Brütende Fulmare sind nicht das einzige Hindernis beim „Sea-stacken“ in Schottland. Vier markante Nadeln haben wir uns vorgenommen, allesamt mit viel Abenteuerpotenzial. Der „Old Man of Hoy“ ist eine der wenigen Nadeln, die man erreichen kann, ohne nass zu werden. Zumindest wenn es ausnahmsweise einmal nicht regnet. Das „Yesnaby Castle“ hingegen ist eine Festung, die nur schwimmend erreicht werden kann. Dem eisigen Wind trotzend, eingemummt in Pulli, Jacke und Mütze, stehen wir zweifelnd am Rand der Klippe. Es wäre so schön einfach zu sagen, „das geht nicht“. Auf der anderen Seite sind es ja „nur“ zwei Seillängen- eine schwimmend, eine kletternd. Bei derart rostigen, teils gebrochenen Haken entscheide ich mich definitiv für Erstere. Mit dem Seil um den Bauch stehe ich nackt im eisigen Wind, am Klippenrand haben sich schon die ersten Zuschauer eingefunden. Mit mulmigem Gefühl hechte ich mich in das eiskalte Wasser voller glitschiger Kelp Algen – ein paar verkrampfte Züge später ziehe ich mich auf den rettenden Felsvorsprung. Schnell die Tiroler Traverse aufgebaut, dass ich meine Anziehsachen im Haulbag herüber holen kann.

 

Kurze Zeit später stehen wir zu zweit unter der kurzen, steilen Wand. Die Sicherungsmöglichkeiten sind schlecht, ein windiger Schlaghaken in Wandmitte dient als moralische Stütze. Erstaunlich wie sehr man sich auf 20 Metern verausgaben kann, wenn es gilt, einen Sturz absolut zu vermeiden. Wie gut, dass wir wenigstens unsere Totem Basics am Gurt haben – als einzige Sicherungen passen sie hier und da in die schmalen Spalten. Einmal oben ist es noch nicht überstanden, denn es gibt auf dem kleinen Gipfelgraspolster keinen Stand oder Abseilhaken. Beim Sea-Stacken steht man immer wieder vor wirklich interessanten Aufgaben. Wir legen unser Seil über den Gipfel und seilen an der jeweils gegenüberliegenden Seite, simultan ab. „Lass ja nicht los, bevor ich unten bin“ verabschieden wir uns voneinander und lehnen uns gleichzeitig zurück – es funktioniert.

Klara auf der Seiltraverse am „Old Man of Stoer“
Klara auf der Seiltraverse am „Old Man of Stoer“

Old Man of Stoer

Einige der Sea-Stack-Techniken haben wir uns nun schon einverleibt. Was erwartet uns als Nächstes? Am „Old Man of Stoer“ haben wir einmal Glück – es hängt schon eine Seiltraverse, sodass keiner von uns schwimmen muss. Wie langweilig! Gottseidank hängt die Tiroler Traverse wenigstens an einem windigen Keil, sodass die Überquerung trotzdem spannend bleibt. Eine kurze sonnige Phase nutzen wir kurzerhand für den nächsten Gipfelsturm. Was Felsqualität, Kletterbewegungen sowie Absicherung angeht, ist der „Old Man of Stoer“ bisher die schönste Felsnadel. Vielleicht der beste Fels, um sich langsam an das Sea-Stacken heran zu tasten, anstatt sprichwörtlich „ins kalte Wasser zu springen“.

Am Buachaille

Sonne und ein blauer Himmel, ab zum wunderschön weißen Sandstrand von Sandwood Bay. Mit dem Baden wird es bei uns natürlich nichts, denn unser Ziel der zweistündigen Wanderung ist eine weitere Felsnadel im Meer. Der „Am Buachaille“ ist für uns eine ideale Abschlusstour, die alles Abenteuerliche am Sea-Stacken vereint. Beide Seilpartner dürfen schwimmen und über sandigen, moosigen, schlecht abzusichernden Fels klettern. Brütende Fulmare und Abseilen an zweifelhaftem Bandmaterial eingeschlossen. Was für eine schöne „Abschlussprüfung“- das ist Klettern in ganz anderen Dimensionen, abseits von Schwierigkeit und Leistungsgedanken!

Die Liste einzigartiger Felsnadeln entlang der schottischen Küste wäre noch lang, in Bezug auf Abenteuer ist sicher noch der ein oder andere Zahn zuzulegen: längere Schwimmpassagen, exponiertere Linien und brüchigerer Fels. Wir müssen uns vorerst von diesem schönen Flecken Erde verabschieden, nehmen aber einen Haufen wichtiger Techniken und Erfahrungen mit nach Hause.

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Bergfreundin Klara

Ein Bergunfall brachte mich aufgrund der entwickelten Höhenangst zum Klettern und wenn ich heute an meine schönsten Momente beim Klettern denke, dann ist es die Zeit im Portaledge, hoch droben in einer Bigwall. Ich habe nicht nur meine Angst bezwungen, Klettern hilft mir immer wieder über mich hinaus zu wachsen und die Erfahrung in den Alltag zu übertragen.

1 Kommentar zum Artikel

  1. Alfred 12. November 2015 09:57 Uhr

    Beim Stichwort brütende Vögel wird mir ein wenig anders. Ich bin kein ausgesprochener Naturschutzaktivist geschweige denn militant allerdings gehören Klettern und der Schutz im jeweiligen Gebiet heimischer Tier- und Pflanzenarten sollte allerdings noch vor jedem "Abenteuer" Priorität haben. Sonst schöne Fotos.

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