Ich habe mich schon immer gefragt, wie südafrikanische Kletterer so viele Erfolge in Schnee und Eis feiern können, wo sie doch den Winter nur vom Hörensagen kennen. Die South African Route an den Torres del Paine, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Antwort haben wir auf unserer Reise in die südafrikanischen Drakensberge gefunden, wo wir uns im Frühjahr das lange Warten auf den Start der heimischen Klettersaison verkürzen wollten. Anstatt gemütlichen “Einkletterns” in den warmen Sonnenstrahlen wurden wir durch klassisches Klettern im Stil der 50er Jahre überrascht und kamen obendrein zu einer XXL Trainingseinheit unserer Kletter- Moral.
Wall der Speere
Am Ende der weiten Graslandschaft erhebt sich wie der Rücken eines Drachen ein zackiger Gebirgskamm. “Ukhalamba”, was übersetzt in etwa “Wall aufgestellter Speere” bedeutet, nannten die Zulu bildhaft ihr Drakensberg- Massiv, welches die Republik Südafrika vom Königreich Lesotho trennt. Uns Kletterern lassen diese Nadeln förmlich das Herz höher schlagen! Für eine dieser mächtigen Speerspitzen, den Mponjwane haben wir uns mit einheimischen Kletterern verabredet.
Schlaflos unter tausend Sternen
Ein freundschaftlicher Handschlag zur Begrüßung und schon geht es los zu unserem dreitägigen Abenteuer. An den letzten Lehmhütten vorbei, führt der schmale Pfad in eine samtig grüne Hügellandschaft und bald tauchen wir vollkommen in die unberührte Natur der Drakensberge ein. Durch hüfthohes Gras bahnen wir unseren Weg in ein von steilen Grasflanken und imposanten Tafelbergen umsäumtes Tal.
Im steilen Anstieg zum 3000 Meter hohen Rockeries Pass kommen wir so richtig ins Schwitzen, mit jedem Schritt schneiden sich die schweren Rucksäcke in unsere Schultern und Hüften. Zudem müssen wir auf Steinschlag durch wilde Paviane achten, sie jagen sich im Felsgelände umher wie die Gämse in den Alpen. Aufsteigender Nebel umschließt die Zinnen und Türme um den Mponjwane und bildet eine fast mystische Stimmung, zudem sind wir in einer anderen Jahreszeit gelandet. Anstelle von plätschernden Wasserläufen bedecken Eisplatten die umliegenden Felsen am Rockeries Pass und auch der Lagerplatz ist etwas anders, als wir es uns ausgemalt hatten. Anstatt einer heimeligen Höhle stehen wir vor einer flachen Stelle unter einem windigen Überhang. Das wird eine kalte Nacht!
Flucht nach oben
Der Gipfel des Mponjwane ist von unserem Biwak- Platz zum Greifen nah, von der Wand trennt uns nur eine 200 Meter tiefe, aber etwas unheimliche, enge Schlucht. Im Stockdunkeln der frühen Morgenstunden machen wir uns an den Abstieg – gut, dass wir während der kurzen Kletterpassagen den tiefen Abgrund nicht sehen. Im steilen Auf und Ab geht es jetzt durch enge Gassen zwischen den zahlreichen Felsnadeln und Mauern bis zum Einstieg, den wir erst bei Sonnenaufgang erreichen. Durch den schmalen Felsschlitz blicken wir hinaus ins Freie, wo ein morgendliches Farbspiel die weite Landschaft verzaubert. Derart eingepfercht zwischen den dunklen, steilen Wänden haben wir dagegen eher das Gefühl von Beklemmung und Kälte. Sehnsüchtig blicken wir auf die warmen Daunenjacken und Handschuhe der Anderen- für das nächste Mal wissen wir, was wir einpacken müssen. Für jetzt bleibt uns nur die Flucht nach oben, aus Enge und Kälte in die Freiheit und ins Licht. Beim Klettern wird es uns schon warm werden…
Hausnummer 5
Die Original Route von Thomsen und Snelson aus dem Jahre 1946 ist nur mit einer F1 bewertet, was in etwa einer 5- nach der UIAA-Skala gleich kommt. Dafür sind die sechs Seillängen durch die schattige Südwand komplett selbst abzusichern. Trotzdem scheint es eine leichte Tour und wir fragen uns, warum der Mponjwane unter südafrikanischen Kletterern als derart großes, alpines Abenteuer regelrecht
gefürchtet wird. Wahrscheinlich wegen seiner Abgelegenheit, die keinen Raum für Fehler lässt und wegen dem nicht überall ganz festen Drakensberg-Fels, der konzentriertes Steigen erfordert. Vielleicht ist F1 aber nur eine Hausnummer und einem alten, ehrfürchtigen Sechser gleichzusetzen? Wir sind gespannt was auf uns zukommt und tasten uns nur allzu vorsichtig den Fels empor. Aufgrund der tauben Finger und eingefrorenen Zehen eine sehr zeitraubende Angelegenheit. Durch Verschneidungen quetschend und Risse klemmend, vorsichtig feuchte Grasbänder querend, die wie Schmierseife unter den Kletterschuhen gleiten. Das Gelände ist auch sicherungstechnisch ganz schön anspruchsvoll. Die Sonne steht hoch am Himmel, aber ihre wärmenden Strahlen können uns in der schattigen Südwand nicht erreichen. Sehnsüchtig blicken wir zu den umliegenden, sonnenbeschienenen Wänden während die Zähne vor Kälte klappern. Hoch über uns ziehen Lammergeier ihre weiten Kreise, während tief unter uns in der Schlucht wilde Paviane schreien- inmitten dieser wilden Natur schwingt das Gefühl von großem Abenteuer mit.
Quergang ins Licht
Endlich kommt der im Kletterführer als luftig angepriesene Platten-Quergang auf die Schulter des Mponj, von wo sich uns ein atemberaubender Blick auf die Spitzen der südlichen Drakensberge auftut. Imposante Felsen schmücken leuchtend grüne Kegel, beeindruckende Kletterziele soweit das Auge reicht. Langsam ziehen wieder Wolken aus dem Tal hinauf und umschleiern mystisch viele Gipfel. Es ist ein Vorgeschmack auf den Rundumblick, der uns hoffentlich am Gipfel erwartet. Nur ungern kehren wir in die schattige Südwand zurück, aber die letzten zwei Seillängen durch den S-förmigen Riss sind das Sahnestück dieser Linie. Die lassen wir uns auf keinem Fall entgehen! Wunderschöne Kletterbewegungen in einem griffigen Riss mit Ausstieg durch einen kurzen Kamin führen uns bis auf den von Wolken verhangenen Gipfel. Wir sitzen wie im Adlerhorst auf einer der vielen Zinnen, inmitten dieser magischen Landschaft. Die Freude über das erreichte Ziel ist riesig, obwohl die ersehnte Aussicht fehlt.
Die Sache mit den Seilenden
Eigentlich würde uns das größte Abenteuer jetzt noch bevorstehen, seilte man doch früher an Bandschlingen über diverse Klemmblöcke ab. Vor ein paar Jahren wurde eine Abseilpiste mit Bohrhaken ausgestattet, sodass wir jetzt angstfrei durch den Nebel hinunter schweben. Aufgrund der vielen losen Steine ist der Abstieg auch so heikel genug. Beschwingt durch das
gelungene Abenteuer marschieren wir durch die engen Schluchten und klettern das Steilgras zur Höhle zurück, wo uns ein wärmender Schluck Whiskey erwartet. Im Licht der untergehenden Sonne lächelt der Mponjwane zu uns herüber, wo wir müde aber glücklich in unseren Schlafsäcken faulenzen. Jetzt ist auch Zeit für die Geschichte um den legendären Unfall am Mponjwane, die im Kletterführer steht. Wahrer Grund für die Sanierung der Abseilstände war ein schrecklicher Unfall, bei dem einer der vielen Abseil-Klemmblöcke ausgebrochen ist. Zum Glück für den Abseilenden hatte sein Partner die Seil- Enden an seinem Klettergurt festgebunden, sodass der Abseilende “nur” 80 Meter in den nächsten Klemmblock- Stand anstatt in den Tod stürzte. Die 20- köpfige Rettungsmannschaft brauchte schließlich für das Abseilen und den Abtransport durch die Schlucht trotz Helikopter-Einsatz ganze 5 Tage, in denen der Schwerstverletzte Kälte und Schmerzen trotzend ausharren musste. Wie gut, dass wir diese Geschichte erst nach unserem Abenteuer lesen!